Ergotherapeutin im REHAB: «Das Ziel ist die Selbständigkeit»

Die Ergotherapeutin Michèle Rudolph hilft im REHAB Basel querschnittgelähmten Menschen, sich im Alltag wieder neu zurechtzufinden.

Michèle Rudolph befasst sich als Ergotherapeutin mit den praktischen Fragen des Alltags: Wie kann sich eine Patientin mit gelähmten Armen die Haare kämmen? Was braucht es, damit sie einen Löffel greifen kann? Und wie steigt ein querschnittgelähmter Mann in sein Auto ein? In der Ergotherapie stehen genau diese Fragen im Mittelpunkt.

Da sind Gabeln, deren Stiel um 90 Grad gebogen ist, Griffzangen in allen Längen, Löffel mit verdickten Griffen sowie Handschuhe mit Noppen drauf. Ein Blick in den Schrank der Ergotherapie-Station im REHAB Basel lässt einen staunen. Er ist vollgepackt mit Hilfsmitteln, die querschnittgelähmten Patient*innen das Leben erleichtern – ja, ihnen ein selbständiges Leben überhaupt wieder ermöglichen.

Die 26-jährige Ergotherapeutin Michèle Rudolph ist in ihrem Element, wenn sie zeigt, was an Hilfsmitteln alles zur Verfügung steht. Und erklärt den Ansatz, der in der Ergotherapie verfolgt wird. «Was will und muss ein Patient wieder können? Was muss ich mit einer Patientin trainieren, damit sie zu Hause alleine zurechtkommt?» Manche Fähigkeiten lassen sich durch Strategien wiedererlangen, andere durch den Einsatz von Hilfsmitteln, wieder andere durch wiederholtes Üben oder durch Krafttraining.

Für jedes Problem eine Lösung

Wenn ein Begriff die Arbeitshaltung von Michèle Rudolph treffend umschreibt, dann ist es «lösungsorientiert». Wenn etwa ein Tetraplegiker zu ihr in die Therapie kommt, der seine Arme nicht bewegen kann, dann organisiert sie eine Apparatur, die sich mit dem Mund bedienen lässt. Er kann dabei in ein Röhrchen blasen und mit einer bestimmten Abfolge von Blasstössen zum Beispiel den Fernseher einschalten, die Glocke läuten oder das Telefon anwählen.

Was für den Laien schlicht unglaublich scheint, ist im REHAB normal. «Wir sind hier sehr gut ausgerüstet», sagt Michèle Rudolph über die Infrastruktur der Rehabilitationsklinik.

Ganz besonders ist die Robotik, die Patient*innen mit computerunterstützter Technik die noch vorhandenen Fähigkeiten trainieren lässt. Dabei kommt manchmal auch die Elektrostimulation zum Einsatz, wo Patient*innen durch den Computer und durch Strom in ihren Bewegungen unterstützt werden. «Dass solche Apparaturen vorhanden sind, ist schon sehr aussergewöhnlich. Und es erweitert die Möglichkeiten der Behandlung», so Michèle Rudolph.

Komplexe Fragestellungen sind ihr Alltag

Es sind gerade die anspruchsvollen Fragestellungen, die Michèle Rudolph ins REHAB gelockt haben. Nach ihrer Ausbildung zur Ergotherapeutin, die sie vor anderthalb Jahren abgeschlossen hat, hatte sie gleich fünf Stellenangebote «ohne mich überhaupt je beworben zu haben», wie sie sagt. Dass es das REHAB sein sollte, war ihr aber schnell klar. Sie kannte das Haus von einem Pflegepraktikum her und wusste, dass sie es mit sehr komplexen Fragestellungen zu tun haben wird.

Hier sind ihre Fähigkeiten gefordert, sich gemeinsam mit den Patient*innen unkonventionelle Lösungen zu überlegen. Zum Beispiel herauszufinden, wie sich ein Tetraplegiker trotz eingeschränkter Armfunktion den Pullover wieder selbst anziehen kann. Oder eine Paraplegikerin mit Keilen und Kissen so in den Rollstuhl zu setzen, dass keine Druckstellen entstehen.

Auch Hausabklärungen gehören zu ihrem Aufgabengebiet. Sie geht zu den Patient*innen nach Hause und klärt mit Architekt*innen und Fachhändler*innen ab, wo Umbauten nötig sind und wo sich die Probleme durch den Einsatz von Hilfsmitteln lösen lassen. Oder sie übt mit Patient*innen in der Tiefgarage des REHAB, wie sie vom Rollstuhl alleine ins Auto einsteigen und den Rollstuhl verladen können.

Im Austausch mit Gleichgesinnten

Es ist einerseits die Komplexität der Fragestellungen, die Michèle Rudolph an ihrer Arbeit im REHAB gefällt, und andererseits ist es das Team. «Nach den Ferien ist es für mich wie ein Heimkommen ins Team», sagt sie. Und man glaubt ihr, dass dies kein eingeübter Marketingslogan ist, sondern von Herzen kommt.

Die Zusammenarbeit funktioniere sehr gut, zudem sie die Berufsidentität im REHAB sehr gut. «Dadurch, dass wir ein Team von fast dreissig Ergotherapeut*innen sind, können wir viele fachliche Themen untereinander diskutieren.» An anderen Häusern sei man als Ergotherapeutin manchmal fast ein wenig eine Exotin und mit den Herausforderungen alleine.

Um auch über das REHAB hinaus in ihrem Fachgebiet vernetzt zu sein, hat Michèle Rudolph vergangenes Jahr einen Kongress für Querschnittlähmung besucht und wird das Haus fortan jährlich an dem Kongress vertreten. Jedes Jahr steht zudem ein Treffen aller Ergotherapeut*innen an aus der Schweiz, Deutschland und Österreich an, die mit Paraplegiker*innen zusammenarbeiten. Sich dort auszutauschen und auf Spezialist*innen zu treffen, sei für sie eine grosse Bereicherung.

Eigeninitiative ist gefragt

Trotz aller Vernetzung und Ratschläge von Berufskolleg*innen steht Michèle Rudolph immer wieder vor Aufgaben, die sie ganz neu fordern. Kürzlich war es zum Beispiel der ausdrückliche Wunsch eines Patienten, so bald wie möglich wieder stricken zu können. «Zuerst war ich überrascht, doch jetzt besorgen wir Wolle und Stricknadeln. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden, die ihm das Stricken wieder ermöglicht.» Dass Stricken mit zum Teil gelähmten Fingern nicht ganz einfach ist, versteht sich von alleine.

Es ist Michèle Rudolphs Ehrgeiz, ihren Patient*innen die Dinge wieder zu ermöglichen, die sie auch vor der Querschnittlähmung glücklich gemacht haben. Und ihre noch vorhandenen Fähigkeiten so zu trainieren, dass sie im Leben wieder Fuss fassen. «Zu sehen, wie hier jemand am Ende rausläuft, der sich zu Beginn der Rehabilitation noch kaum bewegen konnte, ist für mich das Grösste.»

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